Das James-Webb-Weltraumteleskop soll die ersten Galaxien suchen. Nun hat es einige sehr frühe Exemplare gefunden – die aber allen Erwartungen widersprechen.

Der Astrophysiker Pieter van Dokkum von der Universität Yale erklärte am Wochenende im amerikanischen Fernsehen die Überraschung, die ihn und seine Kollegen bei der Analyse ihrer frühen Daten des James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) erwartete. Dabei nutzte er als Beispiel seinen 14-jährigen Sohn, denn dessen Alter ließe sich gut mit dem des 14 Milliarden Jahre alten Universums vergleichen: „Was wir also im Prinzip getan haben, war, Fotos aus einer Zeit aufzunehmen, als mein Sohn sechs Monate alt war. Wenn man so ein Foto das erste Mal ansieht, erwartet man, ein Baby zu sehen. Was wir aber sehen, ist ein Kleinkind.“

Mit anderen Worten: Die internationale Gruppe von Astrophysikern hatte die besonderen Möglichkeiten des James-Webb-Weltraumteleskops genutzt, Ausschau nach den ersten Galaxien zu halten. Die fanden sie auch, und zwar zu einer frühen Zeit rund 600 Millionen Jahre nach dem Urknall, aber entgegen aller Erwartungen waren diese Galaxien nicht klein, sondern bereits sehr massereich. Einen Wert von 100 Milliarden Sonnenmassen berechneten die Forscher als Masse der größten unter den 13 beobachteten Galaxien, knapp zehn Prozent derjenigen unserer Milchstraße.

Fundamentale Konsequenzen

Der Befund war im Fachjournal „Nature“ in einem beschleunigten Verfahren veröffentlicht. Wenn das Ergebnis weiteren Überprüfungen standhält, könnte das einige Konsequenzen für unser kosmologisches Weltbild haben. Das Modell, das unser Universum und seine Entwicklung derzeit am besten beschreiben kann, ist das Lamda-CDM-Modell. Es beruht auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und geht davon aus, dass das Universum neben der uns bekannten Materie einen maßgeblichen Anteil an Dunkler Materie enthält und von Dunkler Energie beschleunigt auseinandergetrieben wird. Im Rahmen dieses Modells kann auch beschrieben werden, wie die Materiestrukturen entstanden sind, die wir heute beobachten. Demgemäß entstanden in Halos Dunkler Materie zunächst kleine Galaxien, die im Laufe der Zeit durch Kollisionen zu immer größeren verschmolzen.

Durch Beobachtungen von Galaxien in der Frühzeit des Universums lassen sich diese Vorhersagen überprüfen. Angesichts der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit erfordert ein Blick weit in die kosmische Vergangenheit, dass man elektromagnetische Strahlung aus möglichst weiter Entfernung auffängt. Man braucht dafür entsprechend sehr empfindliche Teleskope. Gleichzeitig wird die Strahlung auf ihrem Weg zu uns durch die Expansion des Alls fortwährend zu größeren Wellenlängen verschoben, sie wird röter. Licht, das ursprünglich im ultravioletten Bereich des Spektrums angesiedelt war, kommt bei uns als Licht im optischen oder infraroten Bereich an. Teleskope, die weit in die Vergangenheit schauen, müssen daher Infrarotstrahlung beobachten können – so wie das James-Webb-Weltraumteleskop, das gleichzeitig die nötige Empfindlichkeit mitbringt.

Beobachtungen in Richtung Großer Wagen

Die Wissenschaftler nutzten frühe wissenschaftliche Beobachtungen des JWST in Richtung des Sternbildes Großer Wagen für die gezielte Suche nach solchen frühen Galaxien. Unter den dort beobachteten Objekten fanden sie 13 Objekte, die ihren Suchkriterien entsprachen. Anhand deren spektraler Energieverteilung ermittelten sie sowohl ihre Rotverschiebung – ihre Entfernung und ihr Alter – als auch die Masse der Objekte. Für die Galaxien ergab sich daraus eine Datierung von 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall, sechs von ihnen haben gemäß der Analyse Massen von mehr als zehn Milliarden Sonnenmassen.

Derart massereiche Galaxien zu einer so frühen kosmischen Zeit sind im kosmologischen Standardmodell nicht vorgesehen. Sollte sich die Analyse bestätigen, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass dieses Modell falsch ist. Das wäre grundsätzlich keine schlechte Nachricht, denn Astrophysiker suchen ohnehin nach Ansatzpunkten, wie das Modell verbessert oder gar ersetzt werden kann. Grund ist zum einen, dass auch nach vielen Jahrzehnten noch unklar ist, was physikalisch hinter der Dunklen Materie und der Dunklen Energie steckt. Zum anderen gibt es eine weitere Anomalie bei der Messung der gegenwärtigen Expansionsrate des Universums, die durch die Hubble-Konstante beschrieben wird. Je nachdem, mit welcher Methode man diese bestimmt, ob lokal oder kosmologisch, erhält man nämlich unterschiedliche Werte – auch das ein Befund, der auf ein Problem des Lambda-CDM-Modells hinweisen könnte.

Allerdings gibt es, wie so oft in der Astrophysik, auch andere Möglichkeiten, das Ergebnis zu erklären, darauf weisen auch die Forscher hin, die insgesamt noch überaus vorsichtig bei der Interpretation ihres Resultats auftreten. Denn zum einen gehen in die Ableitung der Massen- und Entfernungswerte einige theoretische Modelle und Annahmen ein. Es könnte daher sein, dass bei der Ableitung der Massen aus den Leuchtkräften der Galaxien etwas schiefgelaufen ist, weil bestimmte Annahmen zu einem so frühen kosmologischen Zeitpunkt noch nicht erfüllt sind. So könnten etwa massereiche Schwarze Löcher als aktive Galaxienkerne die Massenabschätzung stören – was allerdings auch für sich genommen wiederum ein äußerst interessanter Befund wäre, wie die Wissenschaftler schreiben.

Gleichzeitig muss man im Kopf behalten, dass Daten, die direkt nach der Inbetriebnahme eines Teleskops aufgenommen wurden, in besonderem Maße von Unsicherheiten betroffen sind, da die Kalibrierung der Instrumente – die korrekte Messung der Helligkeit der Quellen – ein sehr komplexer Prozess ist. Dass das auch für das JWST gilt, war in der Community der Astrophysiker schon früh festgestellt worden. Es gilt also auch hier wieder, dass künftige Beobachtungen hoffentlich für Klarheit sorgen werden. In diesem Fall werden das insbesondere spektroskopische Daten mit langen Belichtungszeiten des JWST sein, mit denen die Rotverschiebung mit höherer Genauigkeit bestimmt und der Beitrag der verschiedenen Quellen in den Galaxien besser identifiziert werden können. Bis dahin bleiben die Resultate mit einigen Fragezeichen behaftet.