Die Gletscher gehen, der Krieg kommt: Was der Klimawandel derzeit mit der Bergwelt anstellt, macht nicht nur Ziege, Schaf und die Nager kirre.

Den wetterfesten Bewohnern der Berge werden oft besondere Güte und Toleranz zugesprochen. Die Rauheit der Natur wirkt sich günstig aufs Gemüt aus. Wer sich den hochalpinen Regionen schreitend oder kletternd nähert, kann das leicht nachvollziehen. Die großen Schlachtfelder der Geschichte liegen so gut wie alle diesseits der Baumgrenze, weshalb die hoch gelegenen Refugien trotz ihrer Schroffheit selbstverständlich längst einen adäquaten hoheitlichen Status verdient hätten, etwa als Friedenssphärenreservate. Zu konstatieren ist nun allerdings, dass auch dieser karitative Reichtum offenbar zunehmend gefährdet ist. Der Klimawandel, wer anders, verändert nicht nur die alpinen Lebensräume, sondern auch die, die darin zu leben trachten.

Die friedfertigen Murmeltiere der Alpen etwa reagieren schon jetzt empfindlich auf die durchschnittlich zwei Grad mehr und suchen ihr Heil in der Höhe. Allerdings ist dort droben die Humusschicht dünn und reicht nicht mehr aus, um genügend tiefe Höhlen für den sicheren Winterschlaf graben zu können. Ähnliches gilt, wie durch Studien beispielsweise in „Biological Reviews“ aktenkundig ist, für zig andere Kreaturen, von der Köcherfliegenlarve bis zur Stelzmückenlarve, die keine Bergquellen mehr finden.

Schwindende Gletscher wirken mithin sogar persönlichkeitsverändernd bis kriegstreiberisch. Das lässt sich indirekt und bei aller gebotenen Vorsicht aus Beobachtungen von US-Forschern in den Rocky Mountains ableiten. Die scheuen Schneeziegen und Dickhornschafe, zwei Kletterspezialisten von eher sanftem Gemüt außerhalb der Paarungszeit, haben auf dem tausend Kilometer langen Kamm von Colorado bis Alberta einen Krieg um die wertvollen Minerale angezettelt, die der klimabedingte Rückzug der Gletscher zugänglich werden lässt.

In 98 Prozent der Fälle, heißt es in den „Frontiers in Ecology and Evolution“, siegt die mit säbelartigen Hörnern ausgestattete Bergziege über das stumpf und mufflonartig behörnte Dickhornschaf. Noch ist vom Genozid der Schafe nicht die Rede. Auch die Kletterer und Wanderer sind einstweilen verschont. Aber der Zwischenfall vor einem Jahr, als die Leiche einer Grizzlybärin in den Rocky Mountains entdeckt wurde, deren Leib von einer Bergziege durchbohrt worden war, lässt Böses ahnen. Der Klimawandel macht wirklich kirre, auch da oben.